Victor klemmte Daumen und Zeigefinger zwischen die Rücken und zog den ganzen Packen aus dem Regal. Lange hatte er keine Schallplatten mehr mit ihren schweren Kartoncovers in der Hand gehabt. Gegenüber den CD-Cases mit den verkleinerten Schriften, den kaum lesbaren Booklets, die man mühsam aus den Laschen des Deckels herausfingern musste und dabei fast immer einen Knick abbekamen, und noch viel mehr den geruchs- und berührungsfremden Daten gegenüber, die sich auf seinem Computer stapelten, muteten ihm die Plattenhüllen mit ihrem auf Vinyl gebackenem Innenleben schwer und lebendig an. Wie eine Originalleinwand gegenüber einem in Glas versiegelten Kunstdruck.
Er fächerte die Pappquadrate dreiunddreißigeindrittel mal dreiunddreißigeindrittel nebeneinander auf den Schreibtisch. Zog die in Pergament verhüllte Scheibe aus dem Karton. Nahm beides in die linke Hand, Pergamenthülle über dem Karton. Führte die nach oben geöffnete Handfläche in das knisternde Papier unter das weiche Vinyl. Erfühlte mit dem Mittelfinger die Öffnung in der Mitte. Balancierte die Platte auf der Fingerspitze gestützt vom Daumen am wulstigen Rand und ließ sie mit geübtem Schwung aus der Hülle gleiten.
Dann legte er Cover und Hülle auf den Schreibtisch zurück, klappte den Plexiglasdeckel des Plattenspielers, DUAL CS 604, auf. Nahm die nackte Scheibe zwischen die Fingerspitzen beider Hände und hielt die schwarzglänzenden Rillen schräg ins Licht. Begierig stürzten sich die Staubpartikel, die in der Zimmerluft vor sich hindösten, auf die mit einer feinen elektrischen Spannung geladene Oberfläche.
Er ließ die Schallplatte in den verchromten Stift in der Mitte des Plattentellers gleiten und schwenkte den Tonarm über den Plattenrand bis zum Einrasten.

[Romanauszug „Mixtape – ein Soundtrack“]
Copyright 2014 Achim Booth